P r o s a - T e x t e



© by Anant Kumar

SATIRE/ESSAY/FABEL  | GEDICHTE | THEATER | KINDER/JUGENDLITERATUR







© by Anant Kumar, Kassel

SEHNSUCHT

Sawitri saß in der Ecke. Traurig, nachdenklich und starr. In so einem Gemütszustand sah ich sie selten und traute mir als ihr guter Freund zu, nach ihrem Wohl zu fragen.
>Schlecht!< erwiderte sie meiner Erwartung gemäß.
>Warum?<
>Ich habe Sehnsucht.<
>Hast Du Heimweh? Oder bist Du wieder frisch verliebt?<
>Vielleicht!<
So antwortete die Inderin oft: lakonisch und nicht eindeutig klar. Und ich als neugieriger und moderner Abendländer versuchte, immer wieder herumzustochern. Wie diesmal:
>Ach komm, erzähl mal!<
>Setz dich hin!< sie fasste meinen Arm, und sie setzte mich neben sich. >Gut, ich erzähle dir eine Sehnsuchtsgeschichte aus dem Orient, wo meine Wurzeln sind:
Majnu, der Geliebte, hat seine Laila lange nicht sehen können. Seine Sehnsucht wurde immer größer und unerträglicher. Verzweifelt heulte er und bat Gott:
>Allmächtiger, schick mir meine Laila zurück!<
Und so betete er lange – sehr, sehr lange.
Und Gott schenkte endlich Majnus Klagerufen Gehör. Eines Abends, als Majnu weiter wegen Laila heulte und Gott ununterbrochen um ihre Wiederkehr bat, klopfte es an der Tür. Schluchzend fragte Majnu:
>Wer ist da?<
>Laila!<
>Wer?<
>Laila! Deine Laila!<
>Nein! Das kann doch nicht wahr sein! Geh weg! Geh weg!<
>Bist du wahnsinnig geworden? Ich bin es! Ich bin... deine Laila! Mach doch die Tür auf!<
>Nein! Geh weg! Geh weg!< schluchzte Majnu weiter.
>Hast du vollkommen deinen Verstand verloren? Solange sehnst du dich ungeduldig nach mir. Jetzt bin ich da und du sagst „Geh weg!“<
>Ja, Laila! Vielleicht habe ich doch den Verstand verloren. Und nun soll mir die Sehnsucht nach dir nicht vergehen.<
Und Majnu schluchzte weiter...


(Aus: DIE INDERIN, Wiesenburg Verlag,
Schweinfurt 1999, ISBN 3-932497-32-5)

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© by Anant Kumar, Kassel

Der Sandershäuser Frühling und der indische Monsoon
um die Jahrtausendwende


Nie habe ich so einen intensiven, deutschen Frühling erlebt. Er trat dieses Jahr ohne Verzögerung an, und ließ uns weiter zweifeln, indem er weiter stehenblieb - wie ein Steinbock. Ja, keine Spur vom listigen Aprilwetter! Die trockenen Tage addierten auffällig, und die dämmernden Abende wurden immer duftiger – rauschend.

Der Frühling fühlte sich eitel, als er uns staunen sah. Und in seinem Hochmut entschloss er sich, mit dem Hochsommer zu duellieren. Damit wurden die warmen Tage richtig heiß. Und es schien, dass samt weißen und blauen Fliedern viele andere Blumen frühzeitig verdursteten, die sich eigentlich noch ein paar Wochen liebkost hätten.

Und es musste regnen, um den Hitzkopf ein wenig zu kühlen. Wiederum war es kein deutsches, anhaltendes Nieseln, sondern es fielen Schauerblöcke, die die Erde mit ihren dicken Tropfen einhämmerten - wie im Sommer.

Daraus ist ein Wetter entstanden, das mich sehnsüchtig zum indischen Monsoon bringt.

Nach jedem Regenschauer riecht es hier zur Zeit ein wenig wie nach dem indischen Monsoon. Ja, ein wenig, weil weder die indische, sengende Hitze noch das darauf folgende Drama des indischen Monsoons im Mitteleuropa einen Vergleich finden lassen. Und das >>Drama<< ist eine treffende Bezeichnung für diesen gewaltigen Wolkenbruch, der mit jeder Stunde nur intensiver und zügelloser wird. Tagelang. Nächtelang. Wochenlang. Damit avanciert die Mutternatur im Kriegsfeld ohne jedwede Hindernis, und den Atombomben - Besitzern bleibt es nichts übrig, als andächtig um ihre Erbarmung zu bitten. Dann entscheidet die Mutter den Auslauf ihres Schauspieles. Nach ihrer Laune und nach den Karmas! Und wir wissen, dass der indische Monsoon nicht selten als Tragödie ausartet. Andererseits verspätet er sich ein paar Tage, verhungern Millionen Kreaturen, und ihre Seelen verlassen zwangsläufig ihre Hüllen.

Das Elternhaus war modern gebaut, und lag sehr hoch. Und in jener ostindischen Stadt, wo der brennende Sommer ewig lang ist, bedeutete Regen für mich ein purer Genuss: Die Wolken, die Kühle, das Prasseln, das Muttergebäck, der schwarze Tee mit Milch und Zucker und das Fenster. Ich saß lange am Fenster und betrachtete gefesselt das Naturschauspiel. Weder meine Nase noch meine Ohren wurden satt. Die Gerüche dampften von der fast ausgetrockneten Erde, und die Kugeln trommelten. Im Monsoon regnet es nicht - es kugelt. Und ich säße noch länger auf dem Fenstersims, wenn mich die trockenen Schulaufgaben der Algebra und Chemie nicht zum Lernen gedrängt hätten. Nachtsregen kippte die kratzende Tagesschwüle in die erfrischende Kühle um, und die Kinder schlüpften im tiefen Schlafgenuss unter den Bettlacken, und sie merkten das erst morgens.

Die Septemberluft roch damals wie jetzt im Mai hier in Sandershausen - naß und nach Erde. Daher lasse ich mein Fenster weit auf, und ich liege lange wach - vergnügt!

(Aus: "Die galoppierende Kuhherde", Essays und andere Prosa,
2001, Wiesenburg Verlag, Schweinfurt, ISBN 3-932497-58-9
Broschur, ca 120 Seiten,
mit Grafiken des renommierten Künstlers Michael Blümel)

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© by Anant Kumar, Kassel

Hirnhitze im Milleniumssommer!

Dieses Jahr hat der Frühling dem Sommer die Hitze vorweggenommen. In meinem ersten Aufsatz schrieb ich über diesen außergewöhnlichen Frühling: “Und in seinem Hochmut traf er die Entscheidung, sich diesmal mit dem Hochsommer zu duellieren” . Und in diesem Duell gab der Sommer auf. Er hielt sich zurück. Seine Ankunft verzögerte sich ewig, und es folgten dem heißen Frühling unmittelbar die Regentage, die zum Alltag eines Mitteleuropäers gehören. So ging der Mai dahin. So gingen Juni und Juli dahin: Regnend, nieselnd, tröpfelnd.

Dafür schien die Hitze in unsere Köpfe gestiegen zu sein. In die Köpfe des höchsten und klügsten Lebewesens. Mensch verfolgte Mensch. Füße zertrampelten Schädel. Eigene Münder lechzten nach dem Blut der anderen.

Die Nachrichten werden voller von Taten, Instanzen und politischen Parolen. Über die Gründe wird gemunkelt und gegrübelt. Die Projekte werden geplant, um uns zu erziehen. Die Frage ist, ob wir uns erziehen lassen wollen. Ja, die Haarspalterei, die unser Urgroßvater Immanuel Kant mit seinem Erziehungszeitalter angezettelt hat: "Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Außerdem verbleibt die Tücke bei der Erziehung weiter, ob uns unsere Erzieher fair erziehen möchten. Oder wollen sie wie gewöhnlich erst die Gedankengänge unserer Urgroßväter mit einer Schere in ihrem Interesse bearbeiten und das Verzerrte, Modulierte mit Mündungslöffeln in uns hineinschleudern. Abwarten! Auf der Hut sein!

Zurück zu blutigen Geschehnissen unserer Gesellschaft. Vielleicht ist unsere Gehirnhitze dermaßen angestiegen, dass der Verstand proportional ausgeschaltet wurde. Also unser Königsberger Uropa wird lange aktuell bleiben.

Es wurde Mitte August, als die ersten hitzigen Tage uns ins Schwitzen brachten. Sie brachten uns vor allem Kopfweh, weil die Temperaturschwankung allzu groß und unerwartet war. Der unvorbereitete Körper musste sich daran gewöhnen. Dann wurden die Tage doch angenehm warm. Der Süden spürte jedoch auch dieses Jahr einige hitzige Tage mehr.

An einem schönen Augustvormittag reiste ich nach Weimar, um im Goethe-Institut Weimar in einer kleinen internationalen Gruppe meine Texte vorzulesen. Der klare Nachthimmel war mit funkelnden Sternen bedeckt. Und das Herumtaumeln in Weimarer Innenstadtgärten erwies sich als ein purer Genuss. Der nächste Morgen brachte Erstaunen mit sich: Ungewöhnlich frisch und die Luft war getränkt mit meinem Lieblingsduft. Aber es war zu früh dafür! Sogar der August hatte eine volle Woche übrig! Daher hielt ich mich zurück, in der Schnelle ein trügerisches Urteil zu fällen. Allerdings war es Herr Kolbmüller, Koordinator des Sommerkurses im Goethe-Institut Weimar, der an jenem Augustvormittag seine Gemütstimmung äußerte: “Es ist herbstlich! Ich fühle mich wie im Herbst!” Ich war erstaunt, froh und erleichtert. Ein eingeborener Deutscher, dessen Wetterwahrnehmungen mit meinen überlappten. Es erfreute mich weiter, dass ich mich auf meine Sinne verlassen kann. In einem "fremden" Land, dessen Leid und Freude mein geworden ist.

Da ich nie ein Liebhaber des Sommers war, vermisse ich nicht so doll die Hitze. Ich genieße den Frühlingsduft samt seiner Frische. Sogar mit einem Wunsch! Und zwar, es soll von mir aus der nächste Sommer durch und durch hitzig brennen. Dafür soll die Hirnhitze eingedämmt sein. Aber bitte!

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© by Anant Kumar, Kassel

Millenniumswetter - 3
Der treue Herbst


Verehrte Damen und Herren, es muss dieses Jahr über den treuen Herbst geschrieben werden, zumal er sich im Gegensatz zu seinen Geschwistern, zu dem hitzigen Frühling und zu dem faden Lausommer, überhaupt nicht auffallend verhielt.

Sondern der diesjährige Herbst bleibt seinem Naturell treu: Sonnige Nachmittage, kühle Abende und hin und wieder auch regnerisch kalt. Darüber hinaus gab es auch zwei-drei richtig warme Tage, die uns durchaus das Gefühl des Altweibersommers vermittelten. Gerade dann, wenn einer wie ich alleine auf den süddeutschen Hopfenfeldern spazieren lief – der Herbstsonne entgegen.

Der Herbst ist das deutsche Wetter. Nicht umsonst werden hierzulande seine Elemente im Gedankengut jedes Dichters und Denkers wiederholt gewürdigt: Zeitloser Himmel, die morgige Nebelfrische, die Spätnachmittagsröte, anhaltende Sehnsucht, wiederkehrende Wehmut.... Die Wörter, die unmittelbar auf den existentiellen Begriff „Liebe“ fokussieren. Auf die Erfüllte und auf die Erwünschte. Oder sogar auf die verträumt-verwünschte Liebe, die im Herbst des Eichendorffs (J.v.Eichendorff: Die Zauberei im Herbst) nach der lang ersehnten Erfüllung ein Grauen hervorruft. Unberechenbar und grausam, als der Geliebte nach dem Freundesmord seine Sehnsucht versteinern sieht. Ach, die Liebe! Sie ist eine opferbereite Gefühlsbeziehung, steht in einem Lexikon.

Der deutsche Herbst ist auch mein Liebling, der samt seinem Vormittagsnebel mich voller Wehmut in die indische Frühwinterfrische hineinversetzt. Und ich fange an, auch hier wie da zu taumeln: In Wäldern, auf den Feldern, in den vereinsamten Alleen. Unter den schweigsamen Wipfeln des Habichtwalds und durch die körnige Wüste von Jaisalmer.

Mit gemischten Gefühlen zertrampele ich die gelb-roten verwaisten Blätter und verfasse Gedichte wie:

herbsttreue
im anno 2000

der herbst wirkt als balsam
nach einem trügerischen sommer
der dem hitzköpfigen frühling folgte

der herbst ist treu
frisch kühl frisch warm
immer wieder sonnengelb
immer wieder indischblau


als möge er wieder herstellen
das erschütterte vertrauen
so wie sichere hände
die kräuselnd streicheln -
                                         den geliebtenkopf



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